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THC und CBD bei Krebs

THC und CBD bei Krebs: der aktuelle Stand der Wissenschaft

Von Dr. med. Franjo Grotenhermen

Im Internet finden sich eine Anzahl von Erfahrungsberichten von Krebspatienten und Ärzten, die nahelegen, dass Cannabisprodukte in einzelnen Fällen das Überleben verlängern oder den Krebs vollständig besiegt haben. Allerdings ist oft unklar, ob die Krebserkrankungen wirklich aufgrund einer Therapie mit Cannabisprodukten verbessert wurden. Allerdings gibt es mittlerweile einige bemerkenswerte Beobachtungen, die zeigen, dass Cannabinoide nicht nur im Tierversuch, sondern auch bei Menschen krebshemmende Eigenschaften entfalten.

Rückgang gutartiger Hirntumoren bei zwei Kindern

Wissenschaftler des Kinderkrankenhauses von British Columbia in Vancouver (Kanada) stellten zwei Fälle von Kindern mit pilozytischem Astrozytom, einem gutartigen Hirntumor, vor, die sich einer Operation mit unvollständiger Entfernung des Tumors unterzogen hatten. In beiden Fällen blieb etwas Tumorgewebe im Gehirn zurück. In den ersten drei Jahren nach der Operation gab es im ersten Fall keine Veränderung der Tumorgröße und im zweiten Fall eine leichte Vergrößerung, gefolgt von einer Abnahme der Tumormasse beider Tumoren in den darauf folgenden drei Jahren. Keiner der Patienten erhielt eine konventionelle zusätzliche Therapie. Die Forscher stellten fest, dass die Tumore in dem gleichen Zeitraum zurückgingen, als Cannabis via Inhalation konsumiert wurde, was die Möglichkeit eröffnet, dass Cannabis eine Rolle bei der Tumorregression spielte".

Rückgang gutartiger Myome der Gebärmutter

Eine meiner Patientinnen hat im Jahr 2016 im Alter von 51 Jahren in Spanien eine kurmäßige Anwendung eines Cannabisextrakts über 3 Monate durchgeführt. Ihr Ziel war eine Verbesserung eines schweren Lymphödems, was auch in der Tat gelang. Nebenbei gingen auch ihre Myome, der Gebärmutter zurück. Vor ihrer Reise nach Spanien war ihr in der Universitätsklinik Tübingen erklärt worden, dass man sie aufgrund der Größe ihrer Myome in der Gebärmutter wohl werde operieren müssen. Nachdem sie wieder in Deutschland war, wurde im Krankenhaus eine erneute Ultraschalluntersuchung durchgeführt. Die untersuchende Ärztin sei völlig überrascht gewesen, da die Myome deutlich zurückgegangen waren. Am Ende des Krankenhausbesuchs habe ihr ein Onkologe gesagt: „Ich beglückwünsche Sie zu diesem überraschend guten Ergebnis. Da haben Sie echt noch mal Glück gehabt, dass wir Sie jetzt doch nicht operieren müssen. Also ganz egal, was Sie da genommen haben, nehmen Sie es weiter!“

Absterben aggressiver Leukämiezellen

In einem Fall aus Kanada wurde ein Mädchen mit einer aggressiven Form einer Kinderleukämie (Philadelphia-Chromosom-positive akute lymphoblastische Leukämie) von ihrer Familie mit verschiedenen Cannabisextrakten behandelt, nach dem Standard-Therapien erfolglos waren. Zum Zeitpunkt der Diagnose im Jahr 2006 war die Patientin 14 Jahre alt. Bei ihr waren Chemotherapie, Knochenmarkstransplantation und Strahlentherapie über einen Zeitraum von 34 Monaten erfolglos geblieben, sodass die Ärzte die Standardbehandlungen schließlich abbrachen. Da es keine weitere Möglichkeit zur Therapie gab, entschloss sich die Familie zu einer Therapie mit verschiedenen Cannabisextrakten. Durch die Behandlung mit Cannabis kam es zu einem deutlichen Abfall der bösartig veränderten Blutzellen. Zunächst nahm die Zahl der bösartigen Zellen im Blut unter der Therapie mit Cannabis weiter zu, dann jedoch mit zunehmender THC-Dosis recht plötzlich ab. Die THC-Dosis war langsam gesteigert worden, damit die Patientin sich an die zunehmend höhere Dosis gewöhnen konnte. 27 Tage nach dem Beginn der Cannabistherapie war die Zahl der Tumorzellen im Blut auf ein Maximum angestiegen und fiel innerhalb weniger Tage drastisch ab. Aufgrund der fortgeschrittenen Erkrankung und langzeitigen starken Therapien hat die Patientin dennoch nicht überlebt. Es traten Infekte auf, Blutungen und schließlich eine Darmentzündung mit Darmdurchbruch, sodass sie daran verstarb.

Äußerliche Behandlung des Basalioms

Im Juli 2016 besuchte mich ein 74-Jahre alter Mann in meiner Praxis. Er litt an wiederkehrenden Basalzellkarzinomen, die auch als Basaliome bezeichnet werden, sowie an einer aktinischen Keratose. Das Basaliom ist eine bösartige Krebserkrankung der Haut. Bevorzugte Lokalisationen sind der Sonne ausgesetzte Gesichtsregionen wie z. B. Stirn, Nase oder Ohren. Das Basalzellkarzinom kann wie ein bösartiger Tumor das umliegende Gewebe schädigen und sogar Knocheninfiltrieren, bildet aber nur extrem selten Metastasen. Basaliome auf der Nase wurden bei meinem Patienten erstmals im Jahr 2003 diagnostiziert und 2004 und 2014 mit einer Bestrahlung behandelt. Im Jahr 2006 wurde eine großflächige Hauttransplantation auf die Nase vorgenommen. Im Februar 2016 war das Basaliom an zwei Stellen auf der Nase zurückgekehrt. In Absprache mit seinem Hautarzt hatte er eine kleine Menge eines THC-reichen Cannabisextrakts (Haschischöl) viermal täglich auf die betroffenen Stellen appliziert. Innerhalb von zwei Wochen heilten sie vollständig ab.

Studien zu Cannabis und Krebs beim Menschen

Zum Zusammenhang zwischen Cannabis und Krebs können epidemiologische und klinische Studien wissenschaftliche Erkenntnisse liefern. Die Epidemiologie ist die wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Verbreitung sowie den Ursachen und Folgen von gesundheitsbezogenen Zuständen und Ereignissen in Bevölkerungen oder Populationen beschäftigt, beispielsweise zum Zusammenhang zwischen Tabakrauchen und Lungenkrebs. Das unterscheidet die Epidemiologie von der klinischen Medizin, bei der es darum geht, einem einzelnen Menschen in einem konkreten Krankheitsfall zu helfen. In klinischen Studien werden oft zwei oder drei Gruppen verglichen, die unterschiedliche Therapien erhalten haben.

Übersicht über epidemiologische Studien

Verschiedene Institutionen in den USA von der Universität von Kalifornien und der Universität von Utah haben in Zusammenarbeit mit der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation die bisherigen epidemiologischen Daten zum Zusammenhang zwischen Cannabisrauchen und Krebs zusammengefasst. Danach gibt es bisher 34 epidemiologische Studien zu diesem Thema bei verschiedenen Krebsarten, insbesondere der Atemwege. Es gab zum Teil leicht erhöhte und zum Teil leicht erniedrigte Krebsrisiken durch das Rauchen von Cannabis. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass bisher keine abschließende Bewertung möglich ist und fordern weitere methodisch gute Studien zum Zusammenhang zwischen Cannabisrauchen und Krebs. Obwohl Cannabisrauch qualitativ die gleichen Verbrennungsprodukte wie Tabakrauch enthält, abgesehen von Nikotin beim Tabak und Cannabinoiden beim Cannabis, fiel in der größten epidemiologischen Studie auf, dass Cannabisraucher ein statistisch nicht signifikant um etwa 20-30 % erniedrigtes Risiko für Lungenkrebs hatten, während Tabakrauchen mit einer erheblichen Zunahme des Risikos verbunden war.

Pilotstudie mit THC bei Glioblastom

Ergebnisse einer offenen Studie mit THC bei neun Patienten mit Gehirnkrebs, die in einem Krankenhaus auf Teneriffa, Spanien, durchgeführt worden war, wurden 2006 veröffentlicht. Die Patienten litten an einem Glioblastom, einem sehr aggressiven Hirntumor und waren erfolglos mit einer Standardtherapie (Operation und Strahlentherapie) behandelt worden. Die mediane Überlebenszeit nach der THC-Behandlung betrug 24 Wochen. Zwei Patienten überlebten nahezu ein Jahr. THC wurde über einen kleinen Katheter, dessen Spitze bei einer Operation in den Tumor gelegt worden war, direkt in den Tumor verabreicht. Die anfängliche Dosis betrug 20 bis 40 Mikrogramm, was auf 80 bis 180 Mikrogramm pro Tag gesteigert wurde. Die Patienten wurden 10 bis 64 Tage behandelt. Die Behandlung wurde von allen Patienten gut vertragen. Wegen des Studiendesigns war es nicht möglich, die Wirkung von THC auf das Überleben zu bestimmen. Dies hätte eine Kontrollgruppe verlangt, die nicht oder mit einer anderen Therapie behandelt worden wäre. Ein Vergleich mit der Überlebenszeit in Pilotstudien mit anderen Medikamenten legt nahe, dass THC in dieser Studie für die Patienten von Nutzen war.

Erste kontrollierte Studie bei Hirnkrebs

Erstmals wurden im Jahr 2017 vorläufige Ergebnisse einer Studie veröffentlicht, die zeigt, dass Cannabis nicht nur im Tierversuch, sondern auch beim Menschen das Krebswachstum hemmen und das Überleben verbessern könnte. Der Hersteller des Cannabisextrakts Sativex gab in einer Pressemitteilung vom 7. Februar 2017 bekannt, dass ihr Produkt in einer Studie mit 21 Patienten, die an einem Glioblastom litten, das Überleben deutlich verlängerte. Sativex ist ein Mundspray, das etwa gleiche Mengen an THC und CBD (Cannabidiol) enthält. An der Studie durften Patienten mit einem Rezidiv eines Glioblastoms teilnehmen. Von den 21 Teilnehmern erhielten 12 Patienten das Standard-Chemotherapeutikum Telozolmid plus Cannabisextrakt, und 9 Patienten erhielten die Standardtherapie mit Telozolmid plus Placebo. Nach einem Jahr lebten noch 53 % der Patienten, die nur Telozolmid und das Plazebo erhalten hatten, während die 1-Jahresüberlebensrate in der Sativex-Gruppe 83 % betrug. Diese viel versprechenden Ergebnisse sind von erheblicher Bedeutung, da Cannabinoide anders als andere Krebsmedikamente wirken, sodass der Zusatz von THC und CBD bzw. entsprechender Cannabisprodukte das Therapieergebnis von Standardtherapien möglicherweise auch bei anderen Krebsarten verbessern kann. Das legen einige tierexperimentelle Studien nahe.

Ergebnisse tierexperimenteller Studien

Bei den folgenden Krebserkrankungen wurden meistens mehrere tierexperimentelle Studien mit Mäusen oder Ratten, die verschiedene natürliche oder synthetische Cannabinoide erhielten durchgeführt: Hirnkrebs, Darmkrebs, Leberkrebs, Krebs der Bauchspeicheldrüse, Brustkrebs, Prostatakrebs, Lungenkrebs, Schilddrüsenkrebs, Melanom (schwarzer Hautkrebs), Nicht-Melanom- Hautkrebs, Leukämie, Mundkrebs, Neuroblastom und Plasmozytom (Multiples Myelom).

In fast allen tierexperimentellen Studien hemmten Cannabinoide das Tumorwachstum, die Bildung von Metastasen und die Bildung neuer Blutgefäße in Tumoren. Es gibt allerdings drei Ausnahmen. Diese betreffen zwei Brustkrebs-Modelle mit Mäusen und ein Lungenkrebs-Modell, in denen THC das Wachstum der Tumoren förderte. Alle anderen Tierversuche bei unterschiedlichen Krebsarten, inklusive Brustkrebs und Lungenkrebs, haben jedoch ergeben, dass THC, CBD, CBG und viele synthetische Cannabinoide das Krebswachstum hemmen.

In mehreren Zellexperimenten war die Aktivierung von Cannabinoidrezeptoren mit einer Aktivierung des Krebswachstums assoziiert. So hemmte in einem Experiment mit Nierenkrebszellen nicht die Aktivierung, sondern die Blockade des CB1-Rezeptors deren Wachstum, sodass eine Stimulierung mit THC möglicherweise ungünstig sein könnte. Auch bei Glioblastomzellen führte die Blockade des Rezptors durch den CB1-Rezeptorantagonisten SR141716 (Rimonabant) zur Hemmung des Krebszellwachstums. Bemerkenswerterweise führte die Aktivierung und nicht die Blockade dieser Rezeptoren zur Hemmung des Krebswachstums bei Tieren, was durch die bisher einzige kontrollierte klinische Studie bestätigt wurde. Es gilt daher die Regel: klinische Studien haben eine stärkere Aussagekraft als Tierexperimente und Tierexperimente sind meistens von größerer Bedeutung als Zellexperimente. Umgekehrt bedeutet dies, dass unser Wissen über die krebshemmenden Eigenschaften von Cannabinoiden solange vorläufiger Natur sind, bevor wir keine Daten aus aussagekräftigen klinischen Studien haben.

Nachdem der Hersteller des Cannabisextrakts Sativex (GW Pharmaceuticals) die oben vorgestellte erfolgreiche Pilotstudie bei Patienten mit Glioblastomen durchgeführt hat, plant er weitere Studien bei Krebsarten in anderen Organen, darunter Lunge, Brust, Bauchspeicheldrüse, Melanom, Gebärmutter, Magen, Nieren, Prostata und Harnblase, weil es experimentelle Hinweise gebe, dass Cannabinoide auch bei diesen Krebsarten wirksam sein könnten.

Ausführliche Informationen: Grotenhermen F. Cannabis gegen Krebs: Der Stand der Wissenschaft und praktische Folgerungen für die Therapie. Solothurn, Schweiz: Nachtschatten Verlag, 2017. Mit einem Geleitwort von Prof. Burkhard Hinz, Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Rostock.